09 November 2009

Nachricht von Mauereröffnung in der Sauna erhalten - Ein Wittenererinnert sich an „seinen“ 9. November im Jahr ‘89

Im Frühjahr 1987 nimmt Michael Winkler an einer Berliner Bibelwoche in Weißensee (Ost) teil. Die westdeutsche Gruppe übernachtet jedoch im Wedding (West). Hier blickt der Wittener (mit Inga Schulze-Steinen) von einer Plattform an der Bernauer Straße über die Mauer in die Eberswalder Straße in die Haupstadt der DDR. (Foto: Ulli Sassenberg)
Im Frühjahr 1987 nimmt Michael Winkler an einer Berliner Bibelwoche in Weißensee
(Ost) teil. Die westdeutsche Gruppe übernachtet jedoch im Wedding (West). Hier
blickt der Wittener (mit Inga Schulze-Steinen) von einer Plattform an der Bernauer Straße
über die Mauer in die Eberswalder Straße in die Haupstadt der DDR. (Foto: Ulli Sassenberg)

Oktober 1989. Erich Honecker musste zurücktreten, und Egon Krenz ist seit dem 24. Oktober nun Staatsratsvorsitzender der DDR. Am 30. Oktober besuche ich mit meiner Frau Ute das Konzert von Paul McCartney und Band in der ausverkauften Westfalenhalle. Es ist grandios die Hits der Beatles und der Wings zu hören und den Ex-Beatle zu sehen. Unvergessen: Linda an der Orgel und der Donnerknall bei „Live and let die“.
Am nächsten Tag – am Reformationstag – fahren wir beide nach Zürich, um eine Freundin zu besuchen. Zürich, die Stadt von Zwingli, Sprüngli, Käsefondue und der Gluschtportionen (Probierportionen). Am 2. November tritt Sir Paul McCartney nun auch in Zürich auf, und am 3. November erlaubt die Tschechoslowakei geflohenen DDR-Bürgern die ungehinderte Ausreise direkt in die BRD.

Die Schweizer Medien beobachten die Geschehnisse in Ost-Deutschland sehr genau – so wie sie immer die Politik im „Großen Kanton“ (Spitzname für Deutschland) kritisch beobachten. Nach etlichen Spaziergängen am Zürisee, Kirchenbesuchen (Chagall-Fenster) und Besuchen in gemütlichen Café-Häusern geht‘s am 9. November wieder mit dem IC in Richtung Norden ins Ruhrgebiet.

Etwa um 17.45 Uhr sind wir wieder zu Hause, und nachdem ich den Koffer ausgepackt habe, packe ich gleich wieder meine Sporttasche: Denn es ist Donnerstag, und Donnerstagabend war immer Saunatag für mich in der Mitarbeitersauna im Evangelischen Krankenhaus. Natürlich nur für die männlichen Mitarbeiter!

Um kurz nach sieben gehe ich durch den Schwesternpark in Richtung Klinik – die Innenstadt-Glocken läuten wie täglich um diese Zeit. In der Physikalischen Therapie angekommen, ziehe ich mich in der Umkleidekabine um, dusche mich und betrete das Bewegungsbad.

Die Kollegen Honnemeier, Hannappel und Sassenberg erwarten mich schon und begrüßten mich mit den Worten: „Die Berliner Mauer ist offen!“ Ich glaube an einen Scherz und antworte: „Und Richard von Weizsäcker ist mein Onkel“ und springe im Adamskostüm in das 32-Gradwarme Schwimmbecken.

Doch die Kollegen präzisieren nach meinem Auftauchen: Sie hatten wie immer den Raumlautsprecher mit WDR 2 eingeschaltet. Dort hätte man gerade diese revolutionäre Nachricht gesendet. Günther Scharbowski hatte bei einer Pressekonferenz in Ost-Berlin um 18.57 Uhr etwas stammelnd mitgeteilt: „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen beantragt werden.“ Ab wann? „Äh, unverzüglich, sofort, meine ich.“ Nackt und nass wie wir vier sind, können wir es nicht glauben und halten die Sätze für einen Versprecher. Der Saunaabend fällt diesmal kürzer aus als sonst, denn ich will nach Hause, um eventuell im Fernsehen mehr zu erfahren.

Bei den Tagesthemen etwa um 22.30 Uhr wird die inzwischen drei Stunden alte Meldung bestätigt und man merkt Moderator und Nachrichtensprecher ihre Nervosität an. Erste Live-Aufnahmen werden aus der Dunkelheit an der innerstädtischen Grenze von Berlin gesendet. Nach dem Nachrichtenblock wird per Sondersendung mal am Brandenburger Tor, mal am Checkpoint Charlie gefilmt. Noch ist alles ruhig. Dann wird die Bornholmer Brücke, ein Übergang im Norden Berlins, gezeigt und dann passiert das Unglaubliche: Um etwa 23.30 Uhr wird der Schlagbaum beiseite geschoben, das erste Loch in der Mauer ist offen. „Wir fluten jetzt“, soll ein Grenzer gemeldet haben.

Bewegt gehe ich mitten in der Nacht ins Bett. Am anderen Morgen mache ich um 7.30 Uhr den Fernseher wieder an: Es stimmt, die Mauer ist offen, nichts ist passiert. Die DDR-Grenztruppen und auch die Russen haben nicht eingegriffen. Die Bilder von einem provisorischen Loch in der Mauer an der Bernauer Straße zeigen wieder Menschenmassen, die von Ost nach West wollen.

Ich bin echt gerührt und weine, weil ich diese Stelle der Grenze von Westberlin her gut kenne. Ich hatte übrigens keine Verwandten in der DDR, und zum ersten Mal war ich 1984 „drüben“: In Ost-Berlin und später in Vetschau im Spreewald bei Brieffreunden, die ich auf einer Berliner Bibelwoche kennen gelernt hatte. In der Hauptstadt der DDR hatte das EVK Witten ein sogenanntes Partner-Krankenhaus, nämlich das einzige evangelische Krankenhaus der Stadt im Stadtteil Lichtenberg.

Dorthin war ich insgesamt viermal mit Kollegen innerhalb einer Mitarbeiterfahrt zu Besuchen gewesen. Erst war es noch im April 1989 gewesen beim dortigen Jahresfest. Keiner ahnte etwas davon, was im Herbst passieren würde. Es gab keine echte Opposition und auch keine subversive Untergrundbewegung. Nun erfahre ich am Abend des 9. November von diesem Wunder – ohne Hemd und ohne Hose in der Mitarbeitersauna. Ein unvergesslicher Abend mit heißen Backen und roten Augen!

P.S.: Erst 20 Jahre später erfuhr ich, dass auch Angela Merkel am Abend des Mauerfalls in einer Sauna war…

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