11 Januar 2011

Mehr als nur ein Obdach: 10 Jahre Notschlafstelle - Straßenkinder aus dem Ruhrgebiet kommen hierher

„Wenn es Nacht wird in Bochum…“ klingelt irgendein junger Mensch bestimmt an der Tür der Notschlafstelle. (Foto: Barbara Zabka)

„Wenn es Nacht wird in Bochum…“ klingelt irgendein junger Mensch bestimmt an der Tür der Notschlafstelle. (Foto: Barbara Zabka)

Straßenkinder, junge Wohnungslose, Frühberber? Eigentlich gibt es keinen richtigen Fachausdruck für diese Klientel. Sozialarbeiter hören keinen Ausdruck davon gerne, weil man sofort Assoziationen an Moskau, Bukarest oder Rio bekommt. Und doch ist die Motivations- und die Perspektivlosigkeit „dieser“ Jugendlichen aus dem Ruhrgebiet genauso da. Alle, aber auch alle, bringen eine ähnliche Geschichte mit, so wie das wohlbehütete „Klein Fritzchen“ sie sich vorstellt: Heim, Knast, Alkohol, Drogen, Gewalt, Missbrauch, Schulabbruch, keine Lehre …

Auch in unserem Kirchenkreis gibt es Kinder und Jugendliche, die „streunen“ und abends oft nicht wissen, wohin. Und doch gibt es eine Hilfsorganisation für sie - in Bochum: ein markantes, aber kleines Gebäude - gleich zu Beginn der Castroper Straße mit der Hausnummer 1 a. Um die Notschlafstelle „SchlafamZug“ für Jugendliche zu erreichen, muss man erst eine ansteigende Straße mit Kopfsteinpflaster hoch marschieren, vorbei an einer Backsteinmauer, hinter der sich ein Bahndamm mit drei Gleisen befindet. Im 2-Minuten-Takt donnern und quietschen hier rangierende Güterzüge oft mit zwei E-Loks vorbei.

Die Notschlafstelle ist eine stationäre Einrichtung, die zur Stiftung Overdyck gehört. „Overdyck“ ist wiederum Teil der Diakonie-Ruhr-Gruppe, zu der auch das EVK Witten gehört. Petra Hiller, die Heimleitung, berichtet nicht ohne Stolz: „Das Kinder- und Jugendheim Overdyck ist eine evangelische Stiftung, die vom Grafen Adalbert von der Recke-Volmarstein bereits 1819 in Bochum gegründet wurde. Unsere Einrichtung bietet seitdem Kindern und Jugendlichen in Notsituationen Hilfen in unterschiedlichen stationären und ambulanten Wohn- und Betreuungsformen an.“

So ist es auch mit der Notschlafstelle. Seit dem 2. Januar 2001 gibt es dort an 365 Nächten fünf Schlafplätze – für Mädchen und Jungen in getrennten Räumen und Etagen. „SchlafamZug“ öffnet täglich ab 20 Uhr und muss bis um 9 Uhr morgens wieder verlassen werden. Voraussetzung für einen kostenlosen Schlafplatz in der Notschlafstelle ist, dass die Jugendlichen freiwillig kommen und sich an zwei Regeln halten: Verzicht auf jede Art von Gewalt und Verbot von Drogenkonsum – dazu gehört auch Alkohol – und Drogenhandel. Bis zu zehn Tagen hintereinander können die Jugendlichen bedingungslos in der Notschlafstelle übernachten, dann beginnen verpflichtende Gespräche.

Beeindruckend sind die Belegungszahlen der letzten Dekade: Im Jahr 2001 haben 130 Jugendliche das Angebot genutzt, 2002 waren es bereits144. 2008 übernachteten 159 Jugendliche in dem Haus, und 2009 waren es sogar 164. Für das vergangene Jahr liegen die Zahlen noch nicht vor. Der Bedarf stieg also deutlich, Gründe für diese „Beliebtheit“ gibt es viele. Die Straßenkinder kennen die Adresse, aber auch die von ähnlichen Stellen in Essen und in Dortmund.

„Die Zielgruppe unseres Angebotes sind Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 21 Jahren, die ihren Lebensmittelpunkt auf die Straße verlegt haben. Die Besucher der Notschlafstelle sind meist männliche Jugendliche (ca. 70 %). Sie sind meist aus Bochum, oft aber sind auch Jugendliche aus umliegenden Städten bei uns. Einige wenige kommen aus Witten und Hattingen“, erklärt Jannine Düding, die Leiterin der Notschlafstelle.
Und weiter: „Unser Angebot ermöglicht in erster Linie die Sicherheit basaler Bedürfnisse. Zur Gewährleistung der Grundversorgung erhalten die Jugendlichen neben der Übernachtung auch ein warmes Abendessen und ein Frühstück. Es besteht Gelegenheit zum Duschen, zum Waschen der Wäsche, und wir haben eine Kleiderkammer, um den Grundbedarf zu decken.“

Dankbar ist „Overdyck“ auch über Spenden für seine Notschlafstelle: Geld- und Kleiderspenden sind dabei, Hygieneartikel, Verbandszeug und Pflaster, Wund- und Heilsalben. Weihnachtsgeschenke für die Jugendlichen kamen im Dezember in die Castroper Straße. Zu den Spendern gehören Familien und Einzelpersonen, die Goetheschule sowie evangelische und katholische Gemeinden. Aber auch die Knappschaft und das Bergbaumuseum waren beispielsweise dabei.
Petra Hiller, Leiterin des Ev. Kinder- und Jugendheims Overdyck betont abschließend: „Wer hier länger bleiben möchte, muss auch mithelfen, dass sich sein Leben ändert. Die Jugendlichen brauchen eine Perspektive für ein Leben nach dem Leben auf der Straße.“

Gäbe es ein Sprichwort zur Bochumer Notschlafstelle, müsste es wohl so lauten: „Wer den Zug des Lebens verpasst hat, bekommt beim ‚SchlafamZug‘ doch noch eine Weiterfahrt.“ - Weitere Infos unter 0234/9041982 oder im Netz unter www.stiftung-overdyck.de .

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